Bewertung des Klimapotentials von Startups
ESG, Net-Zero und Zirkularität. Trotz der inflationären Nutzung dieser Begriffe steckt dahinter eine große Blackbox. Konzerne und Staaten wissen nicht, wie sie diese Ziele erreichen sollen. Eine große Chance? Um die gewinnbringenden Lösungen zu identifizieren, muss man das Klimapotential mit wissenschaftlichen Mitteln bewerten.
Nicht nur aus ökologischen und gesellschaftlichen Gründen, sondern auch aus finanzieller Sicht ist es wertvoll, KPIs zur Klimawirkung eines Startups zu betrachten: Die Fähigkeit zu Dekarbonisieren wird ein immer größerer Wirtschaftstreiber. Grund sind die unbestreitbaren Forschungsergebnisse zur sich verschärfenden Klimakrise und die immer aktiver werdenden Konsumenten, Regierungen und Finanzgeber, getrieben auch von ihren Risikoabteilungen.
Das heißt: Klimaergebnisse sind ein Leitindikator für Geschäftsergebnisse und Klimapotential ein Leitindikator für Geschäftspotential. Jeder finanziell getriebene VC sollte das Klimapotential eines Startups bewerten, ehe er investiert.
Leider ist das heute immer noch eine Seltenheit. Startups und Investoren sowie Investoren untereinander fehlt eine gemeinsame Terminologie, um Klimawirkung und -potential zu diskutieren und zu erzielen.
Das Problem mit der Bewertung der Klimawirksamkeit eines Startups
Um Bewertungspraktiken einzuordnen, ist es wichtig, sich zuerst die Schwierigkeiten in der Bewertung des CPP (Klimapotential; engl. Climate Performance Potential) klarzumachen:
1. Die geringe Validität, die mit Prognosen von Produktverkäufen, Marktgrößen, Fußabdrücken, vor allem von Startups ohne etablierten Lieferketten, und Interaktionen zwischen Klimalösungen einhergeht.
2. Die Mannigfaltigkeit an Möglichkeiten für Klimawirkung: Jede Organisation hat einen Impact auf Biodiversität, Ozeane, Emissionen, usw. inklusive Wechselwirkungen. Direkt und indirekt. Positiv und negativ. Selbst wenn wir eine Klima-KPI hätten, könnten wir ihn nicht mit der Klima-KPI eines anderen Startups vergleichen, da hinter jeder KPI eine große Reihe an Annahmen und Szenarien stecken.
3. Es ist und bleibt nicht das wichtigste Kriterium zur Bewertung eines Startups. Es ist nur ein Datenpunkt. Kein entscheidender, sondern ein qualifizierender. Je frühphasiger, desto wichtiger sind z.B. Teams und Produkt-Markt-Fit. Das Klimapotential wird schlussendlich nur erreicht, wenn das Startup skaliert.
Wie können wir die Klimabewertung von Startups angehen?
Wenn es also problematisch ist, das CPP zu bewerten, wie sollen wir es dann angehen? Wir müssen pragmatisch sein:
Fokus auf eine Dimension: Reduktion von Emissionen
Einige der genannten Dimensionen sind sehr schwierig zu bewerten, und es gibt zu den meisten nur eine schwache Studienlage. Die Dimension mit der größten Datenvielfalt ist die Wirkung eines Unternehmens auf Treibhausgasemissionen. Außerdem ist die Reduktion solcher Emissionen ein exzellenter Proxy für die Bekämpfung des Klimawandels. Unter anderem deswegen weist diese Dimension auch so eine Datenvielfalt auf. Somit können wir uns also auf einen größeren Schatz an soliden wissenschaftlichen Ergebnissen zur Quantifizierung dieses Klimapotentials berufen.
Qualitative Bewertung anderer Wirkungsdimensionen
Die Maximierung einer Dimension, der Emissionsreduktion, kann oft auf Kosten anderer Dimensionen kommen. Umgekehrt kann auch die Emissionsreduktion unter der Vernachlässigung anderer Dimensionen leiden (zum Beispiel bei Baumpflanzkampagnen).
Da dies, wie oben beschrieben, nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein wirtschaftliches Risiko darstellt, ist es wichtig auch andere Dimensionen zu bewerten. Wir sollten deswegen qualitative Antworten finden auf Fragen wie “Welche Klimawirkungen wird das Startup bei seiner Skalierung auslösen?”, “Welche unerwarteten Sekundärwirkungen könnten auftreten?”, “Wie schätzen wir das Risiko ein, in anderen Bereichen erheblichen Schaden anzurichten?”.
Sollte ein signifikanter zu erwartender Schaden auftauchen, muss das eine Investitionsentscheidung beeinflussen.
Bewertung auf Markt- und Technologielevel, statt auf Startuplevel
Nicht zu sehr auf das Startup fokussieren! VCs misstrauen den Prognosen zu Umsatz und Unit Economics der Startups. Genauso sollten sie auch die Wirksamkeit nicht auf dieser Basis (auch “Bottom Up” genannt) bewerten. Die bessere klassische VC-Analogie ist stattdessen der TAM, der “Total Addressable Market”.
Also: Total Avoidable Emissions (TAE). Für uns ist das der Hauptbestandteil der CPP Analyse. Dazu abstrahieren wir auf die Technologieebene, die auch die Wettbewerber einschließt. Warum bevorzugen wir diese Metrik? Es sind dieselben Gründe, die TAM zur etablierten VC Metrik gemacht haben:
· Es ermöglicht dem VC, einen vielversprechenden Technologiebereich zu identifizieren.
· Nun kann der VC innerhalb dieses Bereiches das Gewinnerteam auswählen. (Das ist typisch für einen VC; man wettet nicht auf Konkurrenten.)
· Es fügt sich orthogonal in die klassischen VC-Entscheidungskriterien, erweitert diese also sauber, anstatt sie zu verzerren oder zu vermischen (was wiederum Bias und mathematische Unsicherheit erhöhen würde).
Natürlich kann für kurzfristige oder historische Wirkung auch der Fokus auf Startup-Level hilfreich sein. Allerdings sind Daten auf Produktlevel hier oft nur spärlich vorhanden und ein kurzfristiger Fokus kann dazu führen, eine inkrementelle Verbesserung zu erzielen statt eine Transformation.
Mit Best Practices die Bewertung aussagekräftig machen
Um eine bessere Vergleichbarkeit und Benchmarking für eine klimawirksame Entscheidungen zu ermöglichen, ist es unerlässlich bei der Bewertung Daten-Best-Practices zu folgen.
· Konsistenz ist entscheidend für die Vergleichbarkeit, z.B. bei Annahmen über Projektionen und bei der “Theory of Change” sollten bei verschiedenen Bewertungen identisch sein.
· Transparenz darüber, woher die Annahmen und Daten stammen
· Konservativ ist die sicherere Wahl bei der Festlegung von Annahmen
· Verständnis der Ergebnisse und der Einfluss unterschiedlicher Variablen, z.B. durch Sensibilitätsanalysen
Appell an das Climate Tech Ökosystem
Auch wenn die aktuellen Bewertungsinstrumente noch nicht ausgereift sind, gibt es gute Nachrichten. Es gibt eine große Einigkeit am Markt, dass alle Finanzinstrumente, -indizes, -benchmarks, usw. aus der Finanzwelt auch in ökologischer Art existieren und Investitionsentscheidungen beeinflussen werden.
Wir sollten alle dazu beitragen, indem wir buchstäblich alle und alles zur Rechnung ziehen. Wir sollten den Austausch suchen, z.B. indem wir uns bei Verbandsorganisationen wie Project Frame beteiligen, und somit auch den Trend zur Standardisierung unterstützen. Lassen Sie uns das gemeinsam machen und eine klimaeffektive Marktdynamik entwickeln.
Autor: Daniel Valenzuela leitet die Wirkungsbewertung bei World Fund, Europa’s größtem Climate Tech VC. Er hat dort die Methodologie zur Wirkungsbewertung entwickelt und hat außerdem zahlreiche andere Startups, Fonds und Organisationen, etwa Project Frame und die GIZ, dazu beraten. Er war zuvor im Startupumfeld und ist studierter Mathematiker der Universitäten Bonn und UC Berkeley.