Der Einfluss der Digitalisierung auf das Klima: Schutz oder Schaden?
Smarte Technologien und die voranschreitende Digitalisierung machen unseren Alltag immer einfacher und effizienter. Doch gerade die digitalen Infrastrukturen erfordern zum Betrieb auch Unmengen an Energie. Hinzu kommt, dass in immer kürzeren Zeitspannen neue Geräte auf den Markt gebracht werden, die nur wenige Jahre „alte“ Technologien ersetzen. Die ständige Produktion neuer Technik ist alles andere als ressourcenschonend. Doch flächendeckendes, immer schnelleres Internet, Streaming-Dienste, digitale Währungen und E-Commerce sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Wie steht es also um die Klimabilanz unseres digitalen Lifestyles?
Musikindustrie: von der Plastik-CD zur Streaming-Cloud
Das Internet wird inzwischen zu einem großen Teil zum Streamen von Videos und Musik über YouTube, Amazon, Netflix, Spotify, Facebook und andere Anbieter genutzt. Ein Grund, die Plattformen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Universitäten von Glasgow und Oslo kamen in einem Forschungsprojekt zu dem Ergebnis, dass die Musikindustrie durch den Wandel von Tonträgern zu Downloads und Streamingdiensten erstaunlicherweise mehr CO2-Emissionen verursacht. Und das, obwohl viel weniger Plastikprodukte (wie CDs) als früher produziert werden. Der Grund ist der hohe Energieverbrauch der Cloud-Dienste und Rechenzentren.
Online-Videos und Filme: Datenmonster brauchen viel Energie
Der Energiebedarf und damit die potenzielle Klimaschädigung ist beim Streaming von Videos, Serien und Filmen noch viel höher als bei Musik. Der französische Think Tank „The Shift Project“ hat ermittelt, dass Videos im Jahr 2018 für 80 % des internationalen Datenverkehrs verantwortlich waren. Davon machten Streaming-Angebote für Filme und Serien mit 34 % den größten Anteil aus, gefolgt von online-Pornografie mit 27 %. Auch Videos in den sozialen Netzwerken (21 %) und auf Plattformen wie YouTube (21 %) fallen ins Gewicht. Anzumerken ist dazu, dass auch die Wahl der Übertragungstechnik eine Rolle spielt. Das Streamen über einen Glasfaser-Anschluss führt zu einer geringeren CO2-Belastung als das Streamen über 3G-Mobilfunk.
Die Giganten des Internets: irgendwann komplett klimaneutral
Einige Plattformanbieter und Streamingdienste setzen inzwischen auf erneuerbare Energiequellen, um die Klimabilanz ihrer Dienste zu verbessern. Der YouTube-Mutterkonzern Google versucht bereits, an vielen Standorten auf regenerierbare Energie zu setzen. Eine flächendeckende Versorgung mit grünem Strom ist jedoch ortsabhängig noch nicht möglich. Google will bis 2030 den gesamten Strom für den Betrieb seiner Rechenzentren aus erneuerbarer Energie beziehen. Facebook hat angekündigt, bis 2030 über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg klimaneutral zu sein. Amazon will dieses Ziel bis 2040 erreichen. Netflix hat erst 2021 angefangen, die ersten Schritte in Richtung CO2-Reduzierung zu gehen.
Beim Videostreaming gilt also dasselbe wie beim Autofahren: solange die Energie aus fossilen Brennstoffen stammt, ist weniger (Daten-)Verkehr die beste Lösung. Wer Musik „nur“ hören will, muss ja kein Musikvideo im Hintergrund laufen lassen.
Kryptowährungen: mehr Rechenleistung, mehr Kryptogeld
Einer Studie der Technischen Universität München zufolge verbrauchte der Bitcoin im Jahr 2018 bereits etwa 46 Terrawattstunden Strom. Nach einer Schätzung des Center for Alternative Finance der Universität Cambridge sind es inzwischen jährlich sogar 120 Terrawattstunden. Das ist ungefähr ein Viertel des jährlichen Stromverbrauchs von ganz Deutschland und 0,5 % des globalen Stromverbrauchs des Jahres 2016. Wie kommt es zu dem hohen Strombedarf? Kryptowährungen basieren auf enorm hohen Rechenleistungen, die erforderlich sind, um kryptographische Aufgaben zu lösen. Diese Aufgaben sind Teil der Blockchain-Technologie und gewährleisten die Sicherheit der übertragenen Währungseinheit. Je größer die Rechenleistung, desto schneller können die Operationen gelöst werden. Der Miner, der die Rechenleistung ausführt, erhält die Transaktionsgebühren. Auf diese Weise werden Bitcoins „geschürft“. Vereinfacht kann man sagen, die Kryptowährung entsteht gerade auch durch die hohe Leistung von Großrechnern. Damit ist der Bitcoin ein wahrer Stromfresser. Entsprechend schlecht könnte auch seine Klimabilanz ausfallen.
Bitcoin-Mining: der Standort könnte entscheiden
Einige Krypto-Investmentfirmen geben zwar an, dass sie einen Großteil ihres Strombedarfs aus erneuerbaren Energien decken. Jedoch fehlt hierzu die Evidenz. Etwa die Hälfte der Gesamtkapazität des Mining wird in China ausgeführt. Welche Energiequellen hier zur Deckung des Strombedarfs eingesetzt werden, ist unklar. Schätzungen zufolge werden dennoch 39-80 % des Bitcoin-Mining durch Ökostrom gedeckt. Das soll einen spezifischen Grund haben: zum Mining ist neben dem Rechner nur eine Ressource erforderlich. Strom. Dadurch sei der Standort und die Energiequelle für die Rechenzentren flexibel. Grüner Strom sei am richtigen Standort günstiger und damit wirtschaftlicher für das Mining. Verlässliche Quellen und Zahlen fehlen leider.
Online-Shopping: Rebound-Effekt ist denkbar
Onlinehandel hat nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie Hochkonjunktur. Wir lassen uns Produkte bis zur Haustür liefern und schicken etwa jedes sechste Paket zurück. Abgesehen von der Produktion selbst entstehen vor allem durch den Transport Treibhausgase. Auf der anderen Seite sparen wir auch CO2 ein, indem wir weniger mit dem Auto zu Geschäften fahren. Oder fahren wir jetzt zu einer Freizeitaktivität, statt einkaufen zu gehen? Online-Shopping spart uns Zeit und durch die Preistransparenz auch Geld. Durch die Ersparnis könnte ein sogenannter Rebound-Effekt auftreten: wir investieren das gesparte Geld in weitere Produkte. Der potenzielle Umweltvorteil des E-Commerce könnte sich dadurch selbst verbrauchen.
E-Commerce: potenzieller Klimavorteil durch Effizienz
Der Bericht des Umweltbundesamtes „Die Ökologisierung des Onlinehandels“ stellt fest, dass im Vergleich zum stationären Einzelhandel beim Onlinehandel die Transportprozesse auf der letzten Meile, Retouren-Sendungen und Verpackungen die größte Auswirkung haben. Jedes Produkt sei dabei ein Einzelfall und könne andere Wirkungen erzeugen. Denn Distribution und Handel selbst leisten nur einen Anteil von 1-10 % zur CO2-Bilanz einer Ware. Die Produktion und Nutzung eines Produkts steht bei der Nachhaltigkeit und Klimarelevanz nach wie vor im Zentrum. Das Umweltbundesamt kommt zu dem Ergebnis, dass der Onlinehandel im Vergleich zum stationären Einzelhandel effizienter und klimaschonender sein könnte. Das oberste Ziel sollte sein, die Verpackungen nachhaltiger zu gestalten und die Zustellung zu optimieren. Retouren sind bestmöglich zu vermeiden.
Home Office: Arbeitswege und Geschäftsreisen reduzieren
Zahlreiche Analysen haben ergeben, dass die Digitalisierung im Arbeitsleben einen deutlichen Klimavorteil hat. Der Verkehrsclub Deutschland e.V. gibt an, dass durch die Videokonferenzen auch nach der Pandemie ein Drittel weniger Geschäftsreisen notwendig sein könnten. Weniger berufsbedingte Reisen machen auch viele Dienstwagen überflüssig. Das Arbeiten im Home Office könnte zwischen 1,5 Mio. (Quelle: VCD e. V.) und 5,4 Mio. (Quelle: Greenpeace) Tonnen CO2 einsparen. Im Vergleich zur Klimabelastung durch datenintensive Videokonferenzen überwiegt der Vorteil der eingesparten Fahrt- und Flugwege deutlich.
Weniger ist mehr. Die Ressource entscheidet.
Kaum Zahlen und viele Variablen machen es schwer, eine Klimabilanz für die Digitalisierung zu erstellen. Es gilt wie so oft der Grundsatz: weniger ist mehr. Weniger Streaming, weniger Shopping und weniger Autofahren schont unser Klima. Wer dann bei seinen übrigen (digitalen) Konsum- und Mobilitätsentscheidungen noch auf nachhaltige Energieressourcen und Materialien achtet, hat bereits einen entscheidenden Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel geleistet.
Autorin: Jacqueline Dischler schreibt seit 2015 als Fachredakteurin über Themen aus dem Bereich Recht, Wirtschaft und Umwelt. Als Teil der Redaktion von climate-tech.de möchte Sie einen Beitrag zur Aufklärung über klimarelevante Technologien leisten.