Gefährliche Treibhausgasemissionen: Berechnen oder messen?
„Die vorliegenden Emissionsdaten für das Jahr 2021 stellen die gegenwärtig bestmögliche Berechnung dar“, teilt das Umweltbundesamt mit. Dabei können Treibhausgas-Bilanzen und Klimaschutzmaßnahmen durch die direkte und dauerhafte Messung von lokalen Emissionen validiert werden.
Mit dem Pariser Klimaabkommen wurde das Ziel ausgerufen, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Die ungewünschte Erderwärmung wird durch zuviel Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und andere Treibhausgase in der Atmosphäre verursacht. Deshalb müssen die menschengemachten Treibhausgasemissionen in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren auf Null gebracht werden, sonst steigen die Risiken für Extremwetterereignisse mit gravierenden Folgen nicht nur für die Menschen, sondern für die gesamte Biosphäre.
Beim Klimaschutz wird der Erfolg bisher vor allem daran gemessen, wie sich die Treibhausgasemissionen auf der Grundlage von Mobilitäts- und Energieverbrauchsdaten entwickeln, aus denen das Gesamtvolumen berechnet wird („bottom up“-Ansatz). Diese Bilanzen sind statisch, indem sie die Aktivitäten über ein Jahr und ein Land abbilden. So meldet das Umweltbundesamt im März 2022, dass im Jahr 2021 in Deutschland 762 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen entstanden sind. Gleichzeitig wird mitgeteilt, dass dies die bestmögliche Berechnung darstellt.
Emissionen zu berechnen, zu vermeiden, zu reduzieren und zu kompensieren hat dazu geführt, dass sich eine gigantische Klimaindustrie entwickelt hat. Berechnungen auf der Grundlage von Proxydaten (im Wesentlichen durch Modellierung) sind jedoch nicht dasselbe wie direkte Messungen der Treibhausgaskonzentrationen oder besser noch der tatsächlichen Emissionsraten.
CO2 in der Atmosphäre messen
Die eigentlich relevante Größe für den Klimaschutz sind nicht Tonnen von Treibhausgasen, die an einem Ort emittiert und an einem anderen gebunden werden, sondern der absolute Anteil insbesondere von CO2 als langlebigstem Treibhausgas in der Erdatmosphäre. Denn es besteht eine Korrelation zwischen steigendem CO2-Anteil und steigender globaler Erdtemperatur. Aktuell steigt der absolute Gehalt an Treibhausgasen wie CO2 und Methan in der Atmosphäre weiterhin steil an.
Heute liegt er bei etwa 420 parts per million (ppm). Als Referenz dient die Messstation am Mauna Loa auf Hawaii, die seit den fünfziger Jahren betrieben wird. Hawaii liegt weit weg von den Kontinenten der nördlichen Hemisphäre, und die Luft ist dort gut durchmischt. Weitere Messstationen, die direkt vor Ort Daten generieren, werden erst seit wenigen Jahren aufgebaut und teilweise mangels Finanzierung nicht dauerhaft betrieben. In Deutschland gibt es zurzeit nicht einmal zehn Standorte ausschließlich im ländlichen Raum, die mehr oder weniger durchgehend den Anteil an Treibhaugasen wie CO2 messen. Die Messreihen zeigen im Jahresverlauf die typische Kurve: In der Vegetationsperiode sinkt der CO2-Anteil in der Atmosphäre, während der Winterzeit steigt er an. Über die Jahre hinweg ist die insgesamt steigende Tendenz deutlich zu erkennen.
Erst wenn die CO2-Emissionen durch erfolgreiche Maßnahmen auf Null gebracht werden, wird der CO2-Anteil in der Atmosphäre nicht weiter ansteigen, langfristig stagnieren und dann idealerweise wieder auf ein Niveau vor Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts sinken, auf etwa 280 ppm. Dadurch, so der Stand der Wissenschaft heute, wird eine weitere Erderwärmung verhindert werden können.
Bis die Klimaschutzmaßnahmen jedoch die gewünschte Wirkung zeigen und der CO2-Gehalt in der Atmosphäre wieder sinkt, werden laut dem Weltklimarat (IPCC) noch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte vergehen!
Städte größte Treibhausgasquellen
Statische Emissionsinventare für große räumliche Gebiete oder der CO2-Anteil an der Atmosphäre zeigen uns nicht, was direkt vor Ort täglich geschieht. Vor allem Städte spielen eine zentrale Rolle, denn sie verursachen zwei Drittel der Treibhausgasemissionen weltweit.
Genau hier müssen Fortschritte beim Klimaschutz verfolgt und validiert werden, indem tagesaktuell und lokal Nettoemissionen dauerhaft erfasst werden.
Für die Erfassung dieser lokalen Prozesse hat die Wissenschaft verschiedene Methoden entwickelt, die von der Weltmeteorologischen Organisation (WMO) in einem Referenzdokument zusammengefasst worden sind: „IG3IS Urban Greenhouse Gas Emission Observation and Monitoring Best Research Practices“.
Speziell die von der WMO genannte Eddy-Kovarianz-Methode ist dazu geeignet, die Nettoemissionen in urbanen Räumen zu messen. Im Gegensatz zum „bottom up“-Ansatz der Treibhausgas-Bilanzen handelt es sich hier um eine direkte Messung.
Die Eddy-Kovarianz-Methode misst direkt die Menge an CO2 und anderen Treibhausgasen, die über einem bestimmten Gebiet in die Luft aufsteigt oder aus der Luft entnommen wird (oft als „Nettoaustausch“ bezeichnet), sowie andere relevante Schlüsselparameter mit hoher zeitlicher Auflösung von etwa 30-60 Minuten. Der so genannte Fußabdruck der Messungen (das erfasste Gebiet) ist zeitlich variabel und hängt von Faktoren wie Messhöhe, Turbulenzen und Windrichtung ab. Er erstreckt sich in der Regel einige hundert Meter bis zu mehreren Kilometern Luftlinie um den Messpunkt herum.
Validierung von Klimaschutz-Maßnahmen
Die Eddy-Kovarianz-Methode kann also zur Messung von Treibhausgasflüssen in urbanen Räumen eingesetzt werden und macht Veränderungen durch Klimaschutzmaßnahmen direkt und genau messbar. Konkret kann der Straßenverkehr emissionsfreier gemacht werden, mehr Grünanlagen errichtet, oder auch Produktionsprozesse auf CO2-Neutralität umgestellt werden. Die Auswirkungen können in Tonnen eingesparter Treibhausgase angegeben werden. Zwischen den verschiedenen Quellen und Senken von CO2 und anderen Treibhausgasen in einer kleinräumigen Region bestehen Wechselwirkungen, die durch das lokale Wetter und Klima beeinflusst werden. Indem dies vor Ort gemessen werden kann, wird der Erfolg oder Misserfolg beim Klimaschutz direkt sichtbar.
Die Erfassung lokaler Emissionen mit der Eddy-Kovarianz-Methode wurde in den späten 1970er Jahren von Atmosphärenphysikern und Mikrometeorologen und seit den 1990er Jahren von Klimawissenschaftlern entwickelt. Mit technischen Fortschritten bei der Instrumentierung und der Arbeit von Organisationen wie Fluxnet zur Standardisierung der Methode wurde sie zunehmend zur Untersuchung verschiedener Aspekte des Klimawandels eingesetzt, insbesondere dem Gasaustausch in natürlichen, landwirtschaftlichen und städtischen Ökosystemen. Während ein gleichförmiges Feld in freier Landschaft eindeutige Prozesse verursacht, sind in einer heterogenen Struktur eines urbanen Raums komplexere Berechnungen und Software notwendig.
Die Europäische Union hat dazu gerade das mehrjährige Forschungsprojekt ICOS Cities (PAUL – Pilot Applications in Urban Landscapes) bewilligt, bei dem in München, Paris und Zürich bis 2024 Fortschritte in der Methodik entwickelt werden. Parallel dazu entstehen weitere Projekte, die mit Hilfe von lokalen Geldgebern aus Politik und Wirtschaft Eddy-Kovarianz-Methoden zur Validierung von Treibhausgas-Bilanzen und Klimaschutzmaßnahmen anwenden.
Urbane Treibhausgasemissionen: weitere Methoden
Die WMO nennt weitere, wissenschaftlich international anerkannte Ansätze zur Erfassung urbaner Emissionen, zum Beispiel mobile Messungen mit Fahrzeugen, Satelliten in der Erdumlaufbahn, Sondenaufstiege und fliegende Messplattformen wie Flugzeuge. Keine dieser Methoden ist für sich allein dazu geeignet, direkt Emissionen in urbanen Räumen zeitlich und räumlich so genau zu erfassen wie die Eddy-Kovarianz-Methode. Je mehr gemessen wird, desto kleiner werden die noch vorhandenen Datenlücken auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Autorin: Susanne Schödel ist geschäftsführende Gesellschafterin der Susanne Schödel GmbH Environment Data. Das Unternehmen unterstützt den Ausbau des Netzwerks von Treibhausgas-Messstationen im Interesse von Politik, Unternehmen und Forschung. Der Vertrieb und die Anwendung von Messsystemen für die Qualität von Luft und Wasser ist ein weiterer Schwerpunkt.