Orcan Energy – Die Zeitenwende im Energiesektor vorantreiben
Die Debatte um die energiepolitische Versorgungssicherheit in Deutschland spart leider häufig entscheidende Aspekte aus. Anstatt ideologische Grabenkämpfe zu führen, sollten bestehende Potenziale genutzt werden, um Bezahlbarkeit von Energie und Klimaschutz zu verbinden.
Die russische Invasion der Ukraine hat eine emotionale Diskussion um Deutschlands energiepolitische Versorgungssicherheit entfacht. Die häufig zitierten Lösungen – Streckbetrieb für Atomkraftwerke, Reduktion des privaten Verbrauchs und eine Verzögerung des Kohleausstieg – wirken wie Schmerzmittel nach einer durchzechten Nacht: sie versprechen kurzfristige Linderung, lösen jedoch nicht das Problem an der Wurzel.
Besonders die Energiepolitik ist zu einem Symbol einer breiteren ideologischen Auseinandersetzung geworden. Es gilt einen alten Zielkonflikt aufzulösen: Energie soll nachhaltig, bezahlbar und konstant verfügbar sein. An diesem scheinbaren Widerspruch hängt sich seit langem die Umstellung unserer Energieversorgung auf.
Die unsichtbaren Windparks nutzen
Ein bislang viel zu wenig genutztes Potenzial ist die Abwärme. Die Bundesrepublik könnte jedes Jahr 23 Terawattstunden (TWh) Strom aus der Abwärme von Abgasen, Abluft, Abdampf oder Prozesswasser industrieller Prozesse produzieren – diese grundlastfähige Energie geht aktuell weitestgehend ungenutzt verloren. Zu den typischen Abwärmequellen zählen Öfen in der Zement-, Zink-, Metall- oder Glasindustrie sowie thermische Nachverbrennungsanlagen in der Automobilindustrie, Bau- oder Holzverarbeitungsindustrie und in Raffinerien. 23 TWh entspricht dem Verbrauch von 18 Prozent der deutschen Haushalte. Das ist eine beträchtliche Menge.
Um dieses Potenzial zu erschließen, gibt es heute verfügbare, erprobte und skalierbare Technologien aus Deutschland. Diese können die Abwärme in günstigen grünen Strom verwandeln. Anstatt ausschließlich auf den Ausbau von Erneuerbaren zu setzen, werden so vorhandene Möglichkeiten genutzt – unsichtbare Windparks, deren physischer Ort mit industrieller Wertschöpfung zusammenfällt. Es braucht daher keine neuen Stromnetze; der Strom wird dort erzeugt, wo er auch verbraucht wird.
Der Zementsektor macht es vor
Die Produktion von Zement benötigt viel Wärme im Herstellungsprozess. Allein mit der Abwärme aller deutschen Zementwerke ließen sich 0,7 TWh günstiger, CO2-freier Strom herstellen. Um dieselbe Menge Strom zu erzeugen, müssten circa 1,7 TWh Gas eingesetzt werden. Mit Blick auf die Versorgungssituation der Bundesrepublik wird deutlich, welches Potenzial die Nutzung von Abwärme hat. Um es noch stärker zu verdeutlichen: 1,7 TWh entsprechen dem jährlichen Gasverbrauch von etwa 74.000 Einfamilienhäusern oder 142.000 Mietwohnungen – also einer mittleren Stadt mit rund 300.000 bis 500.000 Einwohnern.
Diese Überlegungen sind keine theoretischen, sondern werden in der Praxis umgesetzt. Orcan Energy arbeitet bereits seit Jahren mit führenden Zementherstellern. Die erste Installation erfolgte bei Gottfried Tonwerke, welche mit Orcan Energy den DENA Efficiency Award 2019 gewannen. Als erstes großes Zementwerk entschied sich Wittekind Zement die Produkte von Orcan Energy zu nutzen. Mittlerweile greift auch das größte deutsche Zementwerk Rüdersdorf von CEMEX auf die Abwärmelösungen zurück.
Orcans Produkte führen zu Einsparungen am bestehenden Klinkerkühler und wandeln die bei der Zementproduktion anfallende − bisher ungenutzte − Abwärme vor Ort in insgesamt bis zu 8.150 MWh Strom pro Jahr um. Zugleich verringern sie den CO2-Ausstoß des Zementwerks um rund 3.500 Tonnen.
Recyclingunternehmen upcycelt Abwärme
Die Produktion von Zement ist nur ein Beispiel für die Vielfältigkeit von Abwärmequellen. Auch das Recyclingunternehmen Ecobat Resources Freiberg nutzt die Produkte, um bisher ungenutzte Abwärme vor Ort in fast 1.500 MWh grünen Strom pro Jahr umzuwandeln.
Ecobat ist ein führendes Recycling-Unternehmen in Europa. An dem Standort in Freiberg recycelt der Betrieb 75.000 Tonnen Batterieschrott, um jährlich etwa 55.000 Tonnen Blei und Bleilegierungen, einschließlich Zinn- und Antimon-Vorlegierungen, herzustellen. Neben Sekundärblei, Polypropylen-Verbundstoffen, Sondermüllentsorgung und Recycling werden hier auch 5.000 Tonnen Natriumsulfat pro Jahr produziert, das an die Glas- und Waschmittelindustrie verkauft wird.
Bei der Herstellung dieser Ressourcen ist es notwendig, Dampf aus dem Kristallisationsprozess zu kondensieren – bislang war dazu ein Nasskühlturm im Einsatz. Orcan Energy ersetzt diesen Nasskühlturm durch die eigenen Produkte, um aus der Prozessabwärme Strom zu erzeugen und gleichzeitig den Verbrauch von Wasser und Strom am Kühler sowie dessen Wartungsaufwand zu reduzieren. Damit wird die Energieeffizienz der Produktionsstätte deutlich gesteigert; gleichzeitig verringert sich der CO2-Ausstoß um mehr als 1.000 Tonnen jährlich.
Aus Bayern in die Welt
Die Beispiele zeigen: die Abwärme aus industriellen Prozessen wird genutzt, um das Klima zu schützen und bezahlbaren grünen Strom zu produzieren. Damit werden viele dezentrale Wärmequellen erschlossen – ein rascher und wichtiger Schritt, um die Energieversorgung zu diversifizieren und bestehende Abhängigkeiten zu reduzieren.
Das Potenzial der Technologie ist extrem vielfältig. Als Abwärmequelle sind nicht nur industrielle Prozesse interessant, sondern auch zunehmend die Nutzung geothermischer Energie, die aus bestehenden Geothermieanlagen oder auch aus ehemaligen Öl- und Gasbohrlöchern gewonnen werden kann.
Die Nutzung des geothermischen Potenzials lässt sich in zwei Varianten unterteilen. Zum einen bietet sich die direkte Nutzung als Heizwärme während der Heizperiode an, jedoch lässt diese Form eine ganzjährige effiziente Nutzung z.B. im Sommer außer Betracht. Die Umwandlung der Wärme in Strom ist ideal, da dieser vielfältig eingesetzt werden kann. Außerdem werden damit bestehende oder ehemalige Energiequellen wie Geothermie-, Öl- und Gasbohrungen umfangreicher und vor allem nachhaltiger genutzt. Diese Nutzungsszenarien unterstreichen die globale Einsatzbarkeit der Technologie.
Zeitenwende – vor allem im Energiesektor
Die Umstellung unseres Energiesystems ist eine enorme Herausforderung. Wir haben jedoch heute schon funktionierende Lösungen, die sich weltweit umsetzen lassen. Während die Bundesregierung intensiv die Transformation vorantreibt, kann der Wandel durch folgende Stellschrauben sogar noch beschleunigt werden.
Zum einen wäre es hilfreich, wenn der aus Abwärme produzierte Strom als Grünstrom klassifiziert würde. Für die Erzeugung der Grundlast werden keine fossilen Energieträger eingesetzt – es handelt sich um konstant zur Verfügung stehenden grünen Strom. Zum anderen greift die EU-Taxonomie das Potenzial noch nicht umfassend genug auf. Innovationen werden nicht auf der Positivliste genannt, da sie sich naturgemäß noch im Prozess des Entstehens befinden. Wünschenswert wäre eine lebendige Liste statt eines starren Konstrukts. Eine wiederholte und regelmäßige Überarbeitung der Liste wäre ein wichtiger Startpunkt, um wirkungsvolle Innovationen für den Klimaschutz in der Zukunft zu berücksichtigen.
Die Zeitenwende im Energiesektor passiert – sie hat sogar schon lange vor Russlands Angriffskrieg begonnen. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir mit noch mehr Schwung die Umstellung vorantreiben. Die Nutzung nachhaltiger Energiequellen stärkt den Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig – anders als die viel diskutierte Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Die Projekte aus der Praxis zeigen, wie es geht.
Autor: Dr. Andreas Sichert ist Vorstandsvorsitzender der Orcan Energy AG. Bevor er 2008 Orcan Energy mitbegründete, arbeitete er bei IBM Deutschland im Bereich Anwendungsentwicklung und Unternehmensberatung sowie als wissenschaftlicher Redakteur an der TUM. Andreas Sichert studierte Physik an der Technischen Universität München (TUM), wo er auch seine Promotion abschloss. Er ist Alumnus der Bayerischen EliteAkademie, der Sloan Swartz Foundation und Unterstützer des Gründungsengagements der TUM. 2014 – 2017 war er Mitglied des Mittelstandsbeirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Er hat mehrere wissenschaftliche Artikel veröffentlicht und ist als Erfinder auf dem Gebiet der Organic Rankine Cycle-Technologie benannt.