Permanente CO2-Speicherung in Betongranulat
Ein Interview mit Lisa Braune von neustark.
Frau Braune, neustark ist spezialisiert auf Speicherung von CO2 in Betongranulat. Wie kam es zu dieser Idee?
Neustark geht auf die Idee unserer zwei Gründer zurück. Co-Gründer und Co-CEO Valentin Gutknecht ist Ökonom und beschäftigte sich vor der Gründung der neustark ag beim ETH Spin-Off Climeworks in Marketing, Vertrieb und Business Development mit der Filterung von CO2 aus der Umgebungsluft und CO2-Senken.
Unser anderer Co-Gründer und Co-CEO Johannes Tiefenthaler beschäftigte sich während seiner Masterarbeit an der ETH Zürich mit den Optionen, Kohlendioxid mit mineralischen Stoffen reagieren zu lassen – und in Karbonatgestein zu binden. Heute doktoriert er am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik und entwickelt dabei die Technologien zur Karbonatisierung von Betongranulat und Betonbrechsand. Sein Know-How war die Grundlage für die Entwicklung der neustark Pionieranlage.
Valentin und Johannes haben sich unabhängig voneinander mit den wirtschaftlichen und technischen Aspekten der Speicherung von CO2 in Betongranulat beschäftigt. Über einen gemeinsamen Kontakt haben sie sich schliesslich kennengelernt und verbündet – um die Herausforderung gemeinsam anzugehen.
Wie und wann wurden dann die ersten Schritte umgesetzt?
Der Prozess wurde 2017 erfolgreich im Labor für Trennprozesse der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich getestet. 2019 wurde die Technologie dann im vorkommerziellen Reaktor erfolgreich getestet. Zudem erfolgten die Firmengründung und die erste Finanzierungsrunde. 2020 fand die Entwicklung und der Bau sowie die Inbetriebnahme der ersten kommerziellen Pilotanlage in Bern statt. 2021 testeten mehr als 20 Betonrecycler in der Schweiz, sowie Betonrecylcer in Deutschland und Holland die Pilotanlage. Rund 100 Tonnen CO2 wurden gespeichert und ungefähr 10’000 Tonnen Betongranulat mit CO2 behandelt. Zudem wurde die erste stationäre Anlage verkauft.
Wir funktioniert ihr System technisch und wieviel CO2 kann durch den Prozess eingespart werden?
Die EU-Mitgliedsstaaten und viele weitere Länder haben sich dazu verpflichtet, bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein, um die globale Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten. Das bedeutet, dass langfristig nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen dürfen, als durch natürliche und technische Speicher aufgenommen werden. Das «Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)» hat verschiedene Treibhausgas-Emissionspfade definiert, die mit einer 1,5 Grad Celsius Erwärmung konsistent sind. Alle definierten Pfade setzen neben einer drastischen Emissionsreduktion auf die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre durch natürliche und technische Senken.
Das Schweizer Startup und ETH Spin-off neustark hat einen Prozess entwickelt, der atmosphärisches CO2 dauerhaft in Rückbaubeton speichert. Rückbaubeton ist der weltweit größte Abfallstrom. Er besitzt ein theoretisches Speicherpotential von etwa 60 kg CO2 pro Tonne Rückbaubeton. Schon heute wird Rückbaubeton von Baustellen zu Betonrecyclingwerken gebracht und dort zu Betongranulat gebrochen, das im Anschluss als Sand- und Kiesersatz in Beton oder im Straßenbau verwendet werden kann. Neustark gliedert sich nahtlos in diesen Prozess ein. In unserem Reaktor wird Kohlendioxid mit Betongranulat in Kontakt gebracht, welches aus mit Zementpaste (= Zement + Wasser) zusammengebundenen Gesteinskörnern besteht. Die Zementpaste ist porös und die Poren sind teils mit Wasser gefüllt. Löst sich CO2 im Porenwasser, reagiert es mit dem Kalzium des Porenwassers zu Kalkstein und wird so chemisch gebunden. Kalkstein ist eine stabile Form der CO2-Speicherung – das CO2 kann nur bei einer Erhitzung auf über 900°C entweichen. Das mit CO2 angereicherte Granulat kann anschließend nach wie vor für den Strassenbau oder die Produktion von frischem Beton verwendet werden, ohne Qualitätseinbußen.
Zurzeit stammt das CO2 aus der Abwasserreinigungsanlage Ara Region Bern AG, die aus Klärschlamm und anderen biogenen Abfällen Biogas produziert. Diese Biomasse hatte zuvor mittels Photosynthese CO2 aus der Atmosphäre aufgenommen. Biogas besteht aus etwa 60% Methan und 40% Kohlendioxid. Um das Biomethan in das lokale Gasnetz einzuspeisen, trennt die Ara Region Bern AG das CO2 vom Methan. Neustark verflüssigt das abgetrennte CO2 für den anschließenden Transport. Es wird mit einem Tanklastwagen, der mit Biogas betrieben wird, zu den Recyclingwerken gebracht.
Eine durch die Eidgenössisch Technische Hochschule (ETH) und dem Paul Scherrer Institut (PSI) erstellte Ökobilanz konnte aufzeigen, dass der Prozess inkl. CO2 Verflüssigung und Lieferung nur rund 60 kg CO2-Äquivalente emittiert, um eine Tonne CO2 zu speichern. Mit anderen Worten speichert unser Prozess rund 20 mal so viel, als er über den Verbrauch von Materialien und Energie emittiert.
Wie funktioniert ihr Geschäftsmodell?
Neustark verkauft die CO2-Speicheranlage an Betonrecycler. Die gesamte Wertschöpfungskette, also von der Verflüssigung und dem Transport, bis zur Speicherung des CO2, verursacht Kosten. Diese Kosten werden mit dem Verkauf von CO2-Senkenzertifikaten gedeckt.
Und wie spielt hier der Emissionshandel mit rein?
Das Europäische Emissionshandelssystem ist ein verpflichtender CO2-Marktplatz, welches als Cap- and Tradesystem funktioniert. Neben dem verpflichtenden Markt gibt es auch noch einen freiwilligen Markt, über den neustark seine CO2-Senkenzertifikate verkauft.
Generell ist beim freiwilligen Markt zwischen zwei Typen von CO2-Zertifikaten zu unterscheiden: CO2 Vermeidungs- und CO2 Senkenzertifikate.
Vermeidungszertifikate werden bspw. durch Solaranlagen oder elektrische Kocher in Entwicklungsländern generiert und werden beispielsweise so gerechnet: anstatt des Netzstroms wird jetzt Solarstrom verwendet und somit XX Tonnen CO2 pro Jahr vermieden. Diese vermiedenen Emissionen werden dann verkauft. Grundsätzlich wird hier ein Emissionsanstieg vermieden, aber es werden keine CO2-Emissionen aus der Atmosphäre entfernt. Um den Klimawandel zu stoppen, müssen in erster Linie alle Emissionen drastisch und so weit wie möglich reduziert werden. Es wird aber auch in Zukunft Emissionen geben, die nicht vermieden werden können, wie z.B. die Emissionen von Kehrichtverbrennungsanlagen.
Für diese unvermeidbaren Emissionen braucht es natürliche (bspw. Wälder) und technische CO2-Senken. IPCC hat berechnet, dass ab 2050 rund 10 Gigatonnen negative Emissionen pro Jahr generiert werden müssen, um die Klimaerwärmung auf 1.5 Grad zu halten. Und somit kommen wir zum CO2 Senkenzertifikatemarkt. Wir generieren sogenannte negative Emissionen, indem wir atmosphärisches CO2 permanent in Betongranulat speichern. Somit wird die CO2-Konzentration in der Atmosphäre effektiv verringert. Um ab 2050 10 Gigatonnen negative Emissionen pro Jahr generieren zu können, müssen wir bereits heute in technologische Senken investieren.
Wer sind dabei ihre potenziellen Kunden bzw. aus welchen Bereichen kommen diese?
Wir haben zwei verschiedene Kundensegmente. Einerseits sind dies natürlich Betonrecycler. Neben Betonrecyclern zählen diverse Firmen, die ihre CO2-Emissionen über CO2-Senkenzertifikate kompensieren möchten, zu unseren Kunden. Unsere CO2-Senkenzertifikate entsprechen dem international anerkannten Gold Standard. Sie werden mit Hilfe einer Gold Standard Methode exakt quantifiziert und anschliessend von einer Drittpartei verifiziert.
Wie eingehend geschrieben, haben über 20 Betonrecycler in der Schweiz sowie Betonrecycler in Holland und Deutschland bereits unsere Pilotanlage getestet. Mehrere Schweizer Betonrecycler haben bereits eine stationäre Anlage bestellt. Für das kommende Jahr rechnen wir mit 5-10 stationären Anlagen. Neustark Beton wurde auch schon in diversen Infrastrukturprojekten verbaut, bspw. im Schulhaus Kleefeld oder in der Tramdepot Überbauung in Bern.
Was sind die nächsten Ziele von neustark?
Wir möchten das Speicherpotenzial von Rückbaubeton noch weiter ausschöpfen. Vor kurzem haben wir deshalb die Pilotphase eines zweiten Prozesses gestartet. Es handelt sich dabei um eine komplementäre und ergänzende Technologie, welche bereits im Labormassstab getestet wurde und durch die das CO2-Speicherpotenzial von Rückbaubeton vervielfacht wird.
Generell möchten wir einen relevanten Beitrag für das Klima leisten und dafür die jährlich gespeicherte CO2 Menge jedes Jahr steigern. Für das Jahr 2030 haben wir als Ziel 1 Million Tonnen CO2 zu speichern. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, müssen wir unsere Aktivität noch weiter auf Europa ausweiten.
Vielen Dank für diese interessanten Einblicke in ihre Technologie und weiterhin viel Erfolg.
Interviewte: Lisa Braune hat einen Master in Umweltingenieurwissenschaften und hat bereits ihre Masterarbeit mit neustark geschrieben. Für die Masterarbeit hat sie eine Ökobilanz erstellt von der neustark Wertschöpfungskette. Anschliessend hat sie nahtlos bei neustark angefangen zu arbeiten. Ihre Hauptaufgabenbereiche sind das Monitoring der Senkenleistung der Anlage sowie der Verkauf der Senkenzertifikate.