Climate Tech Fachartikel

Supermaterial Biokohlenstoffe – wie die aktive Speicherung von CO2 das Luxusgut „Bio“ für alle billig macht

Ein überraschend einfaches System kann zukünftig über den Entzug und die Speicherung von CO2 viele Lebensmittel, Materialien und Energie regenerativ, besser und billig machen. Die Grundlage dafür bildet die sogenannte „carbonauten minus CO2 factory“. Die erste geht im Oktober in Eberswalde bei Berlin in den Betrieb, dutzende weitere sind weltweit geplant.

Reduzierung von Klimagasen im Bereich von Gigatonnen

Das Start Up carbonauten aus Giengen hat nach eigenen Angaben ein einzigartiges System für die Industrie entwickelt, dass Treibhausgase, Emissionen und Kosten senkt und Regeneration ermöglicht. Es erzeugt an dezentralen Produktionsstandorten innovative CO2-negative Materialien, umweltfreundliche Bioplattformchemikalien und Erneuerbare Energie. „Das Thema Klimagase ist für die Menschen zu abstrakt, deshalb haben wir nach Lösungen gesucht, die den Menschen in der vielschichtigen Existenzkrise helfen und sich positiv auf die Umwelt auswirken.“ sagt Gründer Torsten Becker. „Menschen sollen im Supermarkt Bio kaufen, weil es billiger als konventionelle Lebensmittel ist. Und für die Zubereitung des Essens nutzen sie unsere Erneuerbare Energie, die billiger ist als die fossile Energie. Dabei wohnen sie billiger und in besserer Qualität, weil die Gebäude auch mit unseren Materialien errichtet wurden.“ Bis 2030 sollen so mindestens 100 Standorte jährlich mehrere Gigatonnen an Kohlendioxid, Methan, Lachgas und Wasserdampf speichern, vermeiden und reduzieren.

Die Genialität der Natur und altes Wissen industriell genutzt

„Die Natur hat über Millionen von Jahren unerreicht geniale Systeme entwickelt, die sich Menschen seit tausenden von Jahren zunutze gemacht haben und ganz einfache Lösungen bieten. Dieses alte Wissen haben wir neu entdeckt, entwickeln es permanent weiter und bringen es in einen industriellen Kontext“ erklärt Co-Gründer Christoph Hiemer. Das Prinzip ist einfach, denn Pflanzen benötigen CO2 zum Wachstum. Über die Photosynthese wandeln sie den gasförmigen Kohlenstoff in Biomasse. So enthält ein Baum rund 50 % Kohlenstoff, der am Lebensende durch Mikroorganismen wieder in die Gase CO2, Methan und Lachgas umgewandelt wird. Diesen Verrottungsprozess unterbrechen wir, indem die Biomasse ohne Sauerstoff über 400° C erhitzt wird und der Kohlenstoff quasi freigelegt wird. Das nennt man Pyrolyse. Der Kohlenstoff würde erst durch Verbrennen wieder klimaneutrales CO2 bilden. Physikalisch bindet so jede Tonne Biokohlenstoff 3,67 Tonnen CO2, in der Praxis sind es 2,5 bis 3,3 Tonnen des Klimagases. Deshalb ist Biokohlenstoff eine aktive CO2-Senke.

Unbekanntes Supermaterial Biokohlenstoff

Kohlenstoff ist die Grundvoraussetzung für organisches Leben im Weltall. Zwar besteht der menschliche Körper zu etwa 60 Prozent aus Wasser, aber beim eigentlichen organischen Material, bei den Zellen, den Proteinen, der DNA spielen Kohlenstoffverbindungen die Hauptrolle. Sie bilden das Gerüst, das alles zusammenhält. Unglaubliche 20 Millionen Verbindungen kann Kohlenstoff eingehen. Beispiele für die Vielfalt aus dem Alltag sind Grillkohle, Kohlefasern und Diamanten. Diese mannigfaltigen physikalischen Eigenschaften nutzten carbonauten für die zum Patent angemeldete Materialkategorie „NET Materials®“ (Negative Emission Technology). Sie bestehen aus der Kombination von Biokohlenstoffen mit verschiedenen Bindemitteln.

Maximale stoffliche und energetischen Kaskadennutzung

Neben Biokohlenstoffen entstehen zwei weitere, quasi kostenlose Produkte: Hochwertige Destillate aus Pyrolyseölen als Plattform für umweltfreundliche biochemische Produkte sowie grundlastfähige Erneuerbare Energie (Wärme, Strom, Wasserstoff).

Die Pyrolyseöle kondensieren bei der Karbonisierung aus den Teeren der Biomassen und sind der Hidden Champion. Sie sind aufgrund ihrer chemischen Komplexität als Bioplattformchemikalie hochattraktiv u. a. für die Herstellung von pharmazeutischen Grundstoffen, Kunststoffen, Bindern und umweltfreundlicher Agrarchemie.

Der kontinuierliche, exotherme Prozess erzeugt viel überschüssige und nutzbare Energie. Einmal mit 40 Litern Bioöl angefeuert, entsteht bei der Pyrolyse ein Synthesegas. Da nur 5 % dieser Energie für die Karbonisierung selbst benötigt wird, können gut 90 % an Dritte in Form von Wärme mit 850° C oder als Schwachgas abgegeben werden. Alternativ zur Prozess- oder Fernwärme kann über BHKW Strom oder Grüner Wasserstoff erzeugt werden. Durch die kontinuierliche Produktion 24/7 ist die Erneuerbare Energie grundlastfähig. Im Rahmen eines Forschungsprojekts über 1 Mio. € mit der Uni Hohenheim entsteht 2023 der Prototyp für die Produktion von Aktivkohle für die Abwasser- und Abgasreinigung, bei der als Abfallprodukt große Mengen Grüner Wasserstoff entsteht – kostenlos.

Quantensprung in der Karbonisierungstechnologie

carbonauten hat ein bewährtes Karbonisierungsverfahren entscheidend weiterentwickelt. Es erlaubt durch die exakte Einstellung der Prozessparameter wie Temperatur, Temperaturverlauf und Dauer die Herstellung spezifizierter, technischer Biokohlenstoffe. Das Batch-Verfahren mit direkter Beheizung ist äußerst robust und besitzt keine drehenden Teile. Dies ermöglich die Verarbeitung verschiedener holziger Biomassereste zu unterschiedlichen Produkten. Auch Störstoffe wie Kunststoffe und Metalle sind unkritisch, da mechanisch nichts blockiert werden kann. Eine weitere Besonderheit ist die wasserlose Abkühlung der Biokohlenstoffe, da viele Binder maximal zwischen 2 % und 6 % Wassergehalt der Biokohlenstoffe tolerieren.

Die Energiebilanz ist exzellent: 60 % Biokohlenstoffe, 30 % Synthesegas, 5 % Pyrolyseöle und 5 % Abwärmeverluste.

Industrielle Dimensionen

Die kleinste Anlage mit drei Karbonisierungsmodulen erzeugt jährlich mindestens 5.000 t Tech Biokohlenstoffe und daraus 10. – 30.000 Endprodukte, 20 – 30 GWh thermische Energie mit 850° C (oder 10 GWh Strom), 3.000 t Pyrolyseöle und 10. – 15.000 CO2 Zertifikate für den freiwilligen Markt. Dafür sind 5.000 m2 Fläche mit einer Halle 1.000 m2 sowie 15.000 t Biomassereste und eine Genehmigung wie ein Biomasseheizkraftwerk (4. BImSchG V) erforderlich. Die derzeit größte in der engeren Auswahl befindliche Anlage umfasst 6 Karbonisierungsmodule und soll die Energie für eine zellstoffverarbeitende Fabrik liefern. Aktuell sind über 80 internationale Standorte in der Bewertung. 2023 sollen minus CO2 factory 002 (Bad Salzungen), 003 (Duisburg) und 004 (Köln) folgen.

Niedrige Preise durch ein Geschäftsmodell mit tiefer Wertschöpfung

Das Gesamtsystem ermöglicht die Herstellung von großen Mengen und hohen Qualitäten zu niedrigen Preisen. So wird beispielsweise die begehrte Abwärme für 30 – 40 € / MWh verkauft mit langfristiger Preisbindung. NET Materials® kosten zwischen 10 % und 90 % weniger als die konventionellen Pendants.

CO2-Zertifikate für 0 – 50 € und eine bessere Welt

Die erzeugten CO2-Zertifikate werden für maximal 50 € statt der aktuellen 200 – 250 €/Stück Investoren und Unternehmen als Futures angeboten. Dadurch werden sie für Anleger aufgrund des potenziell hohen Profits attraktiv und nachhaltig. Denn ein Teil des Profits fließt in den „minus CO2 fund“, über den u. a. defektes Land gekauft wird, das mit Kleinbauern und Genossenschaften und den landwirtschaftlichen Produkten der carbonauten regenerativ bestellt wird und über dortige Produktionsanlagen weitere CO2-Zertifikate generiert.

Bio wird billig für alle durch minus CO2 – wenn nicht jetzt, wann dann?


Autor: Torsten Becker ist Vater von 5 Kindern, Gründer und Geschäftsführer der carbonauten GmbH. Er bezeichnet sich selbst als Träumer im Sinne „I have a dream!“ und legt gemeinsam mit dem Co-Gründer Christoph Hiemer großen Wert auf eine hohe Unternehmenskultur. Einfachheit als Markenkern ist die Voraussetzung für Kreativität, die das disruptive System der carbonauten permanent befeuert. Beide sehen carbonauten weniger als Firma denn als Haltung. Sie wollen zeigen, dass die notwendige regenerative Ökologie mit sozialen Effekten und wirtschaftlichem Wachstum vereinbar sind.

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