Climate Tech Fachartikel

Wandel in der Mobilität – Ideen und Lösungen

In Deutschland nimmt das Auto allein schon historisch eine ganz besondere Position ein. Andere Mobilitätsformen tun sich hierzulande schon deshalb immer schwerer. Eine steigende Anzahl Städte weltweit strebt jedoch nach besserer Lebensqualität, einer fairen Verteilung des allgemeinen Raumes und der Verbesserung der Mobilität für alle Menschen in der Stadt und auch auf dem Land. Selbst in Deutschland entstehen immer mehr Radwege, Fußgängerflächen, eRoller, eScooter – und das Verständnis für eine Mobilität der Zukunft sowie für den öffentlichen Verkehr entwickelt sich langsam, aber sicher. Und dies, obwohl vielerorts Politik, Polizei, Ordnungsämter und Gerichte die Bedürfnisse der Autolenker*innen weiterhin prioritär behandeln.

Innovative Mobilitätsformen gibt es schon lange und ich durfte früh meine ersten Erfahrungen damit sammeln. Mitte der Neunziger Jahre arbeitete ich in meinem ersten großen Digitalisierungsprojekt in der Schweiz mit zwei Ingenieuren zusammen, welche im Verlauf des Projekts begannen Car Sharing zu nutzen und voller Begeisterung davon erzählten. Sie waren Kunden der SBB, besaßen ein General-Abo (entspricht einer erweiterten BahnCard 100) und nutzten Mobility Car Sharing, das ihnen mit dem General-Abo vergünstigt zur Verfügung stand. Heute ist Mobility eine überzeugende Erfolgsgeschichte und wer in der Schweiz mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist findet an vielen Bahnhöfen – aber nicht nur dort – eine Auswahl an modernen und umweltschonenden Fahrzeugen von Mobility. Geringe Umweltbelastung war seit Anbeginn das Ziel und heute befindet sich das Unternehmen mitten im Wandel zur Elektromobilität. Wesentlich waren und sind ebenso die Einfachheit der Buchung und Nutzung, die gute Verfügbarkeit und die reale Preisgestaltung. Bei Mobility stehen mittlerweile etwa 2.900 Fahrzeuge in Betrieb. In Deutschland, das knapp 10-mal so viele Einwohner wie die Schweiz hat, stehen bei Flinkster (das entfernt vergleichbare Angebot der Deutschen Bahn) gerade einmal 4.500 Fahrzeuge bereit. Da hat es im Vergleich also noch viel Potential.

Auch auf dem Land

Weltweit gibt es unzählige weitere Mobilitätsangebote und Mobilitätsprojekte. Spannend ist zudem, dass einige davon über den Tellerrand schauen, auch außerhalb von Städten funktionieren und sogar eine gesellschaftliche Wirkung entfalten. Um den Bezug zu Deutschland besser herstellen zu können nehme ich hier nochmals ein Beispiel aus der Schweiz: mybuxi. Dies ist ein typisches „on-demand“-Angebot (analog Ruf-Taxi oder Ruf-Bus), wie es aus Städten und Agglomerationen bekannt ist. mybuxi fokussiert auf ländliche Regionen und stärkt als flexible Ergänzung den öffentlichen Verkehr. Es erschließt schlecht angebundene Regionen und steigert damit deren Attraktivität. Das Unternehmen ist nach Möglichkeit mit elektrischen Fahrzeugen unterwegs und fährt nur, wenn es gebraucht wird: das intelligente System kombiniert Fahrtwünsche und nutzt die Fahrzeuge optimal. Dieser Service kommt von und für lokale Gemeinschaften, denn die Vereinsmitglieder und Fahrer*innen stammen aus den Gemeinden und engagieren sich auch dort: der Fahrdienst hat unter anderem den Aspekt des Nachbarschaftsdienstes. Mit diesem Dienst können beispielsweise Personen ohne Fahrerlaubnis und Senioren auch auf dem Land weiterhin mobil bleiben. Ein Nachteil dieses Konzepts zeigte sich in der Pandemie, denn die Kontakt-, Ausgeh- und Reisebeschränkungen haben dieses privatwirtschaftliche Projekt in arge Bedrängnis gebracht. Dennoch, die Kombination von nachhaltigen Mobilitätsleistungen und gesellschaftlichem Engagement ist ein starkes, sozioökologisches Argument.

Mobilität – nachhaltig und auch sozial?

In Deutschland gibt es ebenfalls immer mehr innovative Mobilitätskonzepte, darunter auch solche mit sozialem Aspekt. Und in diesem Beispiel hat sich das Konzept ebenfalls schon in der Realität bewiesen. Carré Mobility versteht sich als nachhaltige und soziale Mobilitätslösung direkt in der Nachbarschaft. Das Unternehmen fokussiert auf Städte und Agglomerationen, und bietet unter anderem Immobilienentwicklern Komplettlösungen an: ein Neubaugebiet beispielsweise kann mit weniger Parkplätzen sowie mehr Nutzraum für die Einwohner geplant werden und dennoch stehen bei Bedarf (geladene Elektro-) Fahrzeuge im Sharing zur Verfügung und der Einkauf kommt auf Wunsch vor die Tür geliefert.

Über die dedizierte App werden drei Leistungen miteinander verbunden: ein lokaler Mitbring-Service, ein stationsbasiertes Fahrzeug-Sharing und eine Fahrgemeinschaftslösung – Mitbringen, Selbstfahren und Mitfahren. Gerade der Mitbring-Service ist attraktiv: Selbstfahrer*innen nehmen auf ihrem Weg einen vorbestellten Warenkorb beim Händler in Empfang, gehen einkaufen oder holen etwas ab und bringen das den Nachbarn. Diese kleine, bezahlte Dienstleistung bringt die Menschen im Quartier näher zusammen und stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Was gerade in Städten mit der dort grassierenden Vereinsamung ein wichtiger gesellschaftlicher Aspekt ist und mehr Lebensqualität bringt. Doch auch diese intelligente Mobilitätslösung mit gesellschaftlichem Aspekt hat während der Pandemie Einschränkungen erfahren müssen: Das Mitfahrangebot musste ausgesetzt werden.

Ungleiche Rahmenbedingungen

Mobilität gehört zum Menschen. Trotz der Pandemie bilden sich mittlerweile wieder überall die bekannten Staus. Wirklich nachhaltig ist das nicht, weder ökologisch noch ökonomisch – und auch gesellschaftlich nicht. Wir werden die genannten, sowie viele weitere Ideen und Lösungen im Bereich der Mobilität kennen und einige davon sicher auch schätzen lernen. Ermüdende Staus, nervige Parkplatzsuche und hohe Kosten werden dadurch nicht sofort verschwinden, aber zumindest etwas weniger. Dennoch die Herausforderungen für Mobilitätslösungen sind vielfältig, nicht nur wegen der Pandemie. Vielmehr ist auch die Schieflage auf der Kostenseite ein gewichtiges Thema. Denn während neue Mobilitätsideen die meisten Kosten selbst tragen müssen und positive Aspekte nicht eingerechnet werden, muss die Allgemeinheit für einen großen Teil der durch den Individualverkehr entstehenden Kosten aufkommen – in den Statistiken nennt sich das „externe Kosten“. Wegen dieses systemischen Nachteils ist die Konkurrenzfähigkeit zeitgemäßer Mobilitätskonzepte oft nicht sicher. Für eine faire Kostenverteilung braucht es also mutige und visionäre Politikerin*innen, welche die externen Kosten den Verursachenden auferlegen. Zudem braucht es in der Politik umfassende Visionen, wie die Mobilität gestaltet werden soll. Was aber angesichts der aktuellen Personalien in der Bundes- und Landespolitik Wunschdenken bleiben wird.

Autor: Nicolas Böhmer (MBA, Maschinenbau, dipl. Sound Engineering), unterstützt und begleitet seit 1995 Unternehmen in Auf- bzw. Veränderungs-Prozessen sowie der Digitalisierung. Mit Schwerpunkten in Strategieentwicklung, Mentoring von Führungspersonen und Umsetzungen, Innovations- und Geschäftsmodellentwicklung sowie Umsetzung und Begleitung mit Coaching und Supervising bis hin zur Akquise unterstützt er den Erfolg der Maßnahmen. Fokus KMU, StartUps und Führungspersonen, seit 2015 im Wandel zur Elektromobilität aktiv.

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